brieli67 1er avril 2010 00:19

” Kriegslieder und Nationalhass”.

“Man hat Ihnen vorgeworfen”, bemerkte ich etwas unvorsichtig, “dass Sie in jener grossen Zeit nicht auch die Waffen ergriffen, oder wenigstens nicht als Dichter eingewirkt haben.”

“Lassen wir das, mein Guter !” erwiderte Goethe, “Es ist eine absurde Welt, die nicht weiss, was sie will, und die man muss reden und gewähren lassen. Wie hätte ich die Waffen ergreifen können ohne Hass ! Und wie hätte ich hassen können ohne Jugend ! Hätte jenes Ereignis mich als Zwanzigjährigen getroffen, so wäre ich sicher nicht der letzte geblieben ; aber es fand mich als einen, der bereits über die sechzig hinaus war…

Kriegslieder schreiben und im Zimmer sitzen - das wäre meine Art gewesen ? Aus dem Biwak heraus, wo man nachts die Pferde der feindlichen Vorposten wiehern hört : da hätte ich es mir gefallen lassen. Aber das war nicht mein Leben und nicht meine Sache, sondern die von Theodor Körner. Ihn kleiden seine Kriegslieder auch ganz vollkommen. Bei mir aber, der ich keine kriegerische Natur bin und keinen kriegerischen Sinn habe, würden Kriegslieder nur eine Maske gewesen sein, die mir sehr schlecht zu Gesicht gestanden hätte. Ich habe in meiner Poesie nie affektiert. Was ich nicht lebte und was mir nicht auf die Nägel brannte und zu schaffen machte, habe ich auch nicht gedichtet und ausgesprochen. Liebesgedichte habe ich nur gemacht, wenn ich liebte. Wie hätte ich nun Lieder des Hasses schreiben können ohne Hass ! Und unter uns, ich hasste die Franzosen nicht, wiewohl ich Gott dankte, als wir sie los waren. Wie hätte ich auch eine Nation hassen können, die zu den kultiviertesten der Erde gehört und der ich einen so grossen Teil meiner eigenen Bildung verdankte !

Überhaupt- fuhr Goethe fort- ist es mit dem Nationalhass ein eigenes Ding. Auf den untersten Stufen der Kultur werden Sie ihn immer am stärksten und am heftigsten finden. Es gibt aber eine Stufe, wo er ganz verschwindet und wo man gewissermassen über den Nationen steht , und man ein Glück oder ein Wehe seines Nachbarvolkes empfindet, als wäre es dem eigenen begegnet. Diese Kulturstufe war meiner Natur gemäss, und ich hatte mich lange darin befestigt, ehe ich mein sechzigstes Jahr erreicht hatte.

 Eckermann. ” Gespräche mit Goethe”, den 14. März 1830.


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